Aktueller Text

Morgen werde ich – ganz bestimmt,

versprochen – mit dem Leben beginnen.

 

„Schade“, denkt das Glück, 

das gerade um die Ecke schaut.

 

„Heute hatte ich Zeit, 

morgen bin ich leider ausgebucht.“

 

 

 

 

 

WhatsApp-Nachricht

 

Daniela befindet sich in einer Wurzelbehandlung bei ihrer Zahnärztin. Seit Wochen Dauerschmerz. Kinder immer wieder schwer krank. Letzter Satz, gefragt wie es ihr gehe: „Egal! Geht vorbei!“

Ich habe seit sechs Wochen eine Entzündung der Lendenwirbelsäule mit Dauerschmerz und Gehbehinderung.

Es entsteht folgende kleine Geschichte- eine WhatsApp-Geschichte.

Ich glaube, der Tod wird sich nicht trauen uns zu besuchen. Wir werden ihn nämlich empfangen mit den Worten: „Hallo Gevatter Tod, hattest du schon einmal eine Nervenentzündung mit einem Schmerz, der Stunde um Stunde anhält- Tag um Tag- Woche um Woche? Hast du nebenbei Haushalt und Familie geschmissen, in einer Zeit, in der die ganze Menschheit Angst hat? Ja, es ist easy, so da hinzuschlendern mit einer Sense, an der man sich immer abstützen kann. Menschen in deiner Gegenwart sind wunderbar still und kommen nicht mit lauten, dummen Lebensweisheiten daher. Wahrscheinlich bist du Junggeselle, ohne dir zu nahe zu treten, aber ganz ehrlich, du hast, aber das ist mein ganz persönlicher Geschmack, auch nicht das größte Sexappeal. Na gut, da ist noch die Gothic-scene- aber wie ich sagte, Geschmackssache. Somit gehe ich davon aus, keine genervte Ehefrau, die dich fragt, wo du wieder gewesen bist. Keine Kinder, die an deinen dürren Beinen hängen und Unterhaltung brauchen. Entspannung pur. Unterm Strich, Gevatter, lebe einmal einen Monat unser Leben. Und wenn du dann noch Freunde hast, mit denen du zusammen lachen kannst, so wie wir, ja dann kannst du mit deiner Sense, ich möchte dich nur darauf hinweisen, etwas machohaft, wäre eine Kettensäge nicht moderner, wiederkommen.

 

 

Die kleine Freiheit

 

Es war einmal…und dies „war einmal“ ist noch gar nicht lange her. Zu einer Zeit, daran erinnere ich mich genau, in der man mit Freunden nächtelang diskutierte und der Bauch von Jasmin-,Kirsch- oder Vanilletee blubberte.

Damals lebte die kleine Freiheit. Ein aufmüpfiges, kleines Wesen. Vorlaut und naseweis tanzte sie durchs Leben. Man fragte sich, woher sie ihr Selbstbewusstsein nahm, so einfach auszusprechen, was sie gerade dachte. Besonders klug war sie nicht, oft hätte man sich gewünscht, sie hätte noch einmal über ihre Worte nachgedacht, bevor sie in die Welt hinausgeschleudert wurden.

Man hätte ihr auch eine gewisse Sorgfalt gewünscht bei der Recherchearbeit für ihren Diskussionsbeitrag.

Zugute muss man ihr halten, sie war etwas naiv, glaubte einfach unumstößlich daran, dass sie für jeden Menschen so wichtig war.

Was die kleine Freiheit groß werden ließ, war ihre Toleranz. Sie glaubte nicht, dass es nur ihre Überzeugung, ihre Wahrheit und nur ihre Sichtweise auf die Dinge gab. Sie hörte zu, manchmal wissbegierig, manchmal genervt, aber sie hörte zu, und zusammen, ja zusammen war das Leben richtig gut.

Wenn ich zurückblicke, denke ich, die kleine Freiheit war damals schon sehr alt. Jeder wollte sie zum Freund haben, aber besonders die, die sie nicht besaßen. Urkunden wurden aufgestellt, in denen wir dokumentierten, wie unumstößlich in unserem gesellschaftlichen Leben die Freiheit der Meinung und das Recht, diese auszusprechen, verankert sind. Dichter wie von Fallersleben schrieben: „ ...und sperrt man mich ein im finsteren Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke; denn meine Gedanken zerreißen die Schranken und Mauern entzwei: die Gedanken sind frei.“

Irgendwann vergaßen wir, die Meinung des Anderen, seine Freiheit des Denkens als einen festen Bestandteil des demokratischen Miteinander zuzulassen. Irgendwann nahmen wir keine Rücksicht darauf, dass unsere Worte unser Gegenüber verletzten könnten. Es gab nur noch uns in einer abgestumpften, vereinsamten, digitalen Welt. In der Meinung sich nicht mehr über die Meinung des Einzelnen definiert, sondern erst dann zu der  einzig, wahren Meinung wird, wenn sie sich aus einer anonymen Masse des Internets erhebt. Nicht die Auseinandersetzung mit dem Standpunkt des Anderen, sondern die Bloßstellung und Abwertung seiner Person sind Bestandteil unserer zwischenmenschlichen Kommunikation geworden.

Als wir unser Werte verrieten, keiner mehr an die Kleine glaubte, wurde es Zeit, sich zu entscheiden.